Unzureichende Berücksichtigung des Naturschutzes in der Landwirtschaftspolitik

natur&ëmwelt und Mouvement Ecologique reichen gemeinsam Beschwerden gegen die luxemburgische Regierung bei der EU-Kommission ein.

An Hand der artenreichen Flachlandmähwiesen (LRT 6510) und des Rebhuhns (Perdix perdix) zeigen der Mouvement Ecologique und natur&ëmwelt auf, wie dramatisch der Verlust an europäisch und national geschützten Lebensräumen und Arten hierzulande fortschreitet. Indem die luxemburgische Regierung diesen erheblichen Verlust in Kauf nimmt, ohne effektive Gegenmaßnahmen einzusetzen, verstößt sie gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, welches ein Verschlechterungsverbot des Erhaltungszustandes von europäischen geschützten Lebensräumen und Arten vorschreibt (Richtlinie 92/43/EWG).

Am 25. Juni 2021 wurden die Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Parlament und Agrarministerrat über die Gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP) für die kommenden sieben Jahre abgeschlossen. Angesichts der Herausforderungen wie Klimawandel, Biodiversitätskrise sowie beschleunigter Strukturwandel durch vermehrtes Höfesterben vor allem kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Familienbetriebe, ist leider wenig Ansatz zu der notwendigen Agrar-Strukturreform erkennbar. Fakt ist, dass die neu ausgehandelte GAP die kommenden 7 Jahre weiterhin auf eine großzügige Subventionierung über Flächenprämien und Investitionsbeihilfen setzt, anstatt gesellschaftliche Leistungen wie Umwelt- und Klimaschutz, den Erhalt der Biodiversität sowie Leistungen im Bereich zu mehr Tierwohl fair zu entgelten!

Derweilen geht der Verlust der biologischen Vielfalt, vor allem auf den landwirtschaftlich genutzten Offenlandlandflächen in Luxemburg, unvermindert weiter. Dies belegt das Reporting zur Habitatschutz- und Vogelschutzdirektive (2019) und wurde durch das Observatoire de l’Environnement Naturel (2020) in letzter Zeit eindeutig aufgezeigt:  In Luxemburg sind trotz Bemühungen der letzten Jahre 84 % der Grünland – Habitate in einem schlechten Erhaltungszustand. Ehemals verbreitete Feldvögel (wie z.B. Steinkauz und Feldlerche) sind stark gefährdet, oder wie das Braunkehlchen bereits ausgestorben!

Sowohl die artenreiche Flachlandmähwiese (Prairies maigres de fauche, LRT 6510) als auch das Rebhuhn oder Feldhuhn (Perdrix grise, Perdix perdix) stehen europaweit sowie national unter Schutz  „Habitats d’intérêt communautaire“).

Die artenreiche Flachlandmähwiese („Heuwiese“), welche einen typischen Lebensraum der luxemburgischen Kulturlandschaft darstellt und Insekten und allen, in ihrer Ernährung von Insekten abhängigen Vogel- und Säugetierarten, einen existentiell wichtigen Lebensraum bietet, ist seit 1992 durch die europäische Direktive zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Fauna-Flora-Habitat Richtlinie 92/43/EWG) geschützt.

Zusätzlich ist dieser wertvolle Lebensraum über das nationale Naturschutzgesetz (MÉMORIAL 2018a) geschützt. Viele in ihm vorkommende Arten stehen außerdem über die Großherzogliche Verordnung der geschützten wildlebenden Pflanzenarten (MÉMORIAL 2010) bzw. über die Verordnung der geschützten wildlebenden Tierarten (MÉMORIAL 2009) unter Naturschutz.

Auch das Rebhuhn (Perdix perdix) genießt europäischen (Vogelschutzrichtlinie (DIRECTIVE 2009/147/EC)) sowie nationalen Schutzstatus. Diese Zeigerart der strukturreichen Kulturlandschaft war einst auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen Luxemburgs weit verbreitet.

Sowohl der Lebensraum LRT 6510 als auch diese Vogelart waren in den letzten Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher Schutzprogramme- und Initiativen. Zurecht, denn die Erhaltung repräsentativer Vorkommen dieses Lebensraumes sowie der Vogelart im Netz NATURA 2000 ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Bewahrung des europäischen Naturerbes, für den Luxemburg eine Verantwortlichkeit trägt.

Doch trotz hohem juristischem Schutz und Artenschutzprogrammen, geht sowohl der Bestand an artenreichen Flachlandmähwiesen als auch die Rebhuhnpopulation hierzulande in den letzten Jahrzehnten drastisch zurück.

So verschwand in den letzten 9 Jahren gut ein Viertel (27 % = 8 km2) der geschützten artenreichen Flachlandmähwiesen und 2020 konnten nur noch 4 Rebhuhn-Brutpaare für das ganze Land nachgewiesen werden.

Die Gründe für diesen Rückgang sind wohlbekannt und gut dokumentiert (EU-Reporting Art. 12, Monitoringberichte Observatoire de l’Environnement Naturel 2020 & COL Datenbank):

  • 95% der zerstörten LRT 6510 Flächen und 86% der qualitativen Verschlechterungen sind auf eine nicht angepasste landwirtschaftliche Nutzung zurückzuführen.
  • Die Intensivierung der Landwirtschaft, das Verschwinden von Feldgehölzen und Brachen, der hohe Einsatz von Pestiziden und Dünger, der „Kastenschnitt von Hecken“, etc… entzieht dem Rebhuhn seinen Lebensraum, die Nahrungsquelle und macht es anfälliger für Beutegreifer.

Die Intensivierung der Landwirtschaft fußt größtenteils auf staatlichen Subventionsmechanismen. Existierende Agrar-, Umwelt- und Klima-Maßnahmen (AUKM) sowie Biodiversitätsprämien konnten diesem negativen Trend nichts (oder nur wenig) entgegensetzen, weil sie gegenüber der hohen Subventionskulisse wenig attraktiv sind resp. nicht zielführend angewendet werden. Die Zerstörung dieser geschützten Lebensräume und Arten bleibt somit nicht nur kaum geahndet bzw. ohne Konsequenzen, sie wird zudem über öffentliche (EU und nationale) Gelder gefördert. Die Luxemburger Regierung hat es jedenfalls bislang unterlassen, die Freiräume der nationalen Agrarpolitik zu nutzen um geschützte Lebensräume und bedrohte Arten zu erhalten und zu fördern.

Die katastrophale aktuelle Situation, mit welcher die luxemburgische Regierung gegen europäisches Recht verstößt und seine Verantwortung gegenüber europäisch geschützten Lebensräumen und Arten mit Füßen tritt, kann nur durch konsequentes und effizientes Handeln der zuständigen Ministerien und Verwaltungen verbessert werden.

Es ist deshalb unabdingbar, dass:

  • im neuen Nationalen Strategieplan PSN“ der nationalen Agrarpolitik weitreichende Schutzmaßnahmen festgelegt werden, um einen Erhalt der unter Schutz gestellten Lebensräume und Arten durch angepasste und zielgerichtete Förderungen der AUKM und Biodiversitätsprämien Ein Anteil von mindestens 5% nicht-produktiver Landschaftselemente/Bereiche sollte als Standardmaßnahme für den Artenschutz festgelegt und umgesetzt werden.
  • Insgesamt braucht es ökologisch wirksame Maßnahmen (z.B.: extensive Wiesen und Weiden, Altgrasstreifen, Uferrand-/Pufferstreifen, mehrjährige Blühflächen, artenreiche Ackersäume, …) auf 30% des Grünlandes und 25-30% des Ackerlands (EU-Biodiversitätsstrategie 2030).
  • die unbeabsichtigte und/oder absichtliche Zerstörung eines geschützten Lebensraumtyps, von den hierfür vorgesehenen Autoritäten (ANF brigade mobile, UNICO …) geahndet und protokolliert werden. Insbesondere innerhalb ausgewiesener Natura 2000-Gebiete stellt dies ein strafbarer Tatbestand dar. Strafen zur Zerstörung eines geschützten Lebensraumes müssen darüber hinaus mit dem Verlust der Cross-compliance Prämien sanktioniert werden!
  • für Natura 2000-Gebiete jeweils ein spezifischer Management-Plan für die bedrohten Lebensräume und Arten aufgestellt werden. Dabei gilt es betroffene Flächen, Besitzer und Pächter sowie aktuelle adäquate Förder- und Schutzmaßnahmen darzulegen. Spezifische Maßnahmen zur qualitativen Aufwertung von geschützten Lebensräumen sind hierbei prioritär und besonders wichtig.
  • die Wiederherstellung geschützter Lebensräume und Populationen geschützter Arten über eine spezifische Beratung und Förderung durch die regionalen Biologischen Stationen gezielt gefördert werden. Die Strategie zum Erhalt und der Wiederherstellung des artenreichen Grünlandes in Luxemburg 2020–2030 (MDDI 2020) muss umgesetzt werden.
  • Flächen auf denen AUKM und Biodiversitätsprogramme laufen offengelegt, die Effizienz der jeweiligen Schutzmaßnahmen zum Ende der Laufzeit eines jeden PDR über ein spezifisches Monitoringprogramm bewertet, und die jeweiligen Programme im gegebenen Fall angepasst werden!

Sollte die luxemburgische Regierung weiterhin ihren Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht und ihre Verantwortung für den Schutz artenreicher Lebensräume und gefährdeter Arten ignorieren, so riskiert sie nicht nur eine Strafverfolgung durch die EU-Kommission, sondern ebenfalls eine Verurteilung sowie erhebliche Strafzahlungen seitens des Europäischen Gerichtshofes. Ebenso geht es hierbei nicht minder um die Glaubwürdigkeit der Regierung im Kampf gegen den Biodiversitätsverlust!

In den beigelegten Dossiers finden Sie alle weiteren Fakten, Zahlen und Beobachtungen, welche den Beschwerden bei der europäischen Kommission zu Grunde liegen.