Mehr als 3.600 Wissenschaftler fordern Agrarwende

Mehr als 3.600 Wissenschaftler*innen aus ganz Europa unterstützen eine neue Fachpublikation, die die Pläne zur Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) scharf kritisiert. Die GAP dürfe nicht länger das Artensterben, den Klimawandel und die Degeneration der Böden vorantreiben, sondern müsse helfen, diese Probleme zu lösen. In einem Zehn-Punkte-Plan legen die Wissenschaftler*innen konkrete Forderungen für Verbesserungen der derzeit naturunverträglichen GAP vor.

Die Wissenschaftler*innen aus 63 Ländern (aus allen 27 EU- und 36 weiteren Staaten) kritisieren unter anderem die Fortführung der flächenbezogenen Direktzahlungen, Kürzungen bei den Programmen für die Entwicklung ländlicher Räume und Defizite beim Klimaschutz. Sie behaupten, dass die derzeitige GAP sowohl die zentrale Treibkraft für die Biodiversitäts- und Klimakatastrophe darstellt, als auch die sozioökonomischen Herausforderungen in ländlichen Gebieten nicht löst. Mit Sorge sehen sie, dass die EU den Mitgliedstaaten große Flexibilität bei der Umsetzung der EU-Agrarpolitik zugestehen möchte. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass viele Staaten die flexiblen Vorgaben der EU wenig ambitioniert umsetzen.

Die Erklärung der Wissenschaftler*innen kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt, da die Verhandlungen über die nächste GAP und ihre Finanzierung bereits und parallel zu den Diskussionen über den EU-Haushalt, dem sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen, nach 2020, begonnen haben. Sowie dieser läuft die GAP über einen Zeitraum von sieben Jahren, also von 2021- 2027.

Wie viel Geld wird in die Agrarsubventionen fließen? Welche Bedingungen müssen erfüllt werden um EU-Gelder zu erhalten? Welche Maßnahmen werden prioritär gefördert – Finanzierung per Hektar Land oder doch eher umweltschonende Praktiken der Bauern? Dies sind alles Fragen, über die zurzeit in Brüssel diskutiert wird. Und das zurecht, denn in ihrer jetzigen Form besteht die Gefahr, dass die GAP sogar den kürzlich vorgestellten Green Deal der EU untergräbt.

Die zehn vorgeschlagenen Aktionspunkte der Wissenschaftler (siehe Pe’er et al., 2020) sind ein auf der Wissenschaft basiertes und realistisches Rezept für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion, die Erhaltung der biologischen Vielfalt und den Klimaschutz in Richtung einer evidenzbasierten, zukunftssicheren europäischen Landwirtschaft. Die GAP sollte, ihrer Meinung nach, die Finanzierung zerstörerischer Praktiken, wie etwa der Produktionssubventionen und der Direktzahlungen, je nach Praktik, sofort oder progressiv einstellen und den Übergang zu einer naturverträglichen Landwirtschaft verstärkt fördern.

Zum Beispiel hat bis dato vor allem die Größe des Betriebs darüber entschieden wieviel Einkommensunterstützung die Bauern*innen seitens der EU erhalten, mit dem Resultat: 80% dieser Zahlungen gehen an 20% der Landwirte*innen. Das bedeutet, dass die Landwirte*innen mit dem größten Grundbesitz den größten Teil des Geldes erhalten, ganz unabhängig von der umweltschonenden oder aber –schädlichen Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Betriebe. Fazit: Die Kriterien für den Erhalt von GAP-Zahlungen sind also unzureichend und fragwürdig. Die Gelder werden ungerecht verteilt und finanzieren sogar Praktiken, die den weit verbreiteten Verlust an biologischer Vielfalt, Klimawandel sowie Boden- und Landdegradation begünstigen.

Auch fordern die Wissenschaftler*innen beispielsweise, dass jeder Hof mindestens zehn Prozent seiner landwirtschaftlichen Fläche – zum Beispiel als Brache, Blühstreifen oder Randgehölz – aus der Produktion nehmen und für den Erhalt der Artenvielfalt freigeben soll (eine Maßnahme die übrigens auch vom Europäischen Parlament gefordert wird). Eine Maßnahme, die natur&ëmwelt ausdrücklich begrüßt.

Genauso wie die Wissenschaftler*innen fordert natur&ëmwelt darüber hinaus eine bessere Finanzierung von Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen in der EU-Agrarpolitik. Um diese Maßnahmen angemessen zu honorieren, sind etwa 15 Milliarden Euro pro Jahr notwendig. Das entspricht ungefähr einem Viertel des EU-Agrarhaushalts. Die geforderte Umschichtung der Agrarsubventionen muss mit einem grundsätzlichen Umbau der gegenwärtigen Agrarförderung einhergehen und eine gezielte, attraktive Bezahlung für die öffentlichen Leistungen der Landwirte*innen erbringen.

 

Quellen:

Pe’er et al. (2020): Action needed for the EU Common Agricultural Policy to address sustainability challenges, People and Nature: https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/pan3.10080

Weitere Informationen:

Kontakt:

  • natur&ëmwelt a.s.b.l. Mathieu Wittmann 5, route de Luxembourg L-1899 Kockelscheuer
  • Tel: 29 04 04 311
  • E-mail: m.wittmann@naturemwelt.lu